Wissenschaftskommunikation hat philosophische und politische Dimensionen
(German version)
Das Bild der Wissenschaftler im Elfenbeinturm ist in unserem Sprachgebrauch fest verankert; doch es beginnt zu wanken. Kaum ein Thema wird in der Öffentlichkeit behandelt, ohne dass Experten zu Rate gezogen werden. Der (fach)wissenschaftliche Hintergrund der Expertenmeinungen variiert jedoch. Das macht es zunehmend wichtig, der Öffentlichkeit den Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft, wissenschaftlichen Erkenntnissen und Verschwörungsmythen zu vermitteln. Das, was wir nicht verstehen, macht uns Menschen Angst. Bedrohliche Umweltphänomene und Krankheiten führen vermutlich schon seit Jahrtausenden zu Verunsicherung und brachten verschiedene Mechanismen der Bewältigung hervor. Horkheimer und Adorno stellten in ihrer Dialektik der Aufklärung[1] die berühmte These auf, dass die Angst des Menschen vor der Natur zunächst den Mythos und später die Aufklärung als „radikal gewordene mythische Angst“[2] hervorgebracht habe. Horkheimer und Adorno sind durchaus wissenschaftskritisch zu verstehen. Sie vertreten die These, dass vorangegangene Erklärungen und Deutungen der Natur und der Welt durch einen Glauben an die Naturwissenschaften ersetzt wurde. Die Macht, die der Mensch über die Natur ausüben wolle, kehre sich in Form herrschaftsförmiger Vernunft jedoch schlussendlich gegen den Menschen selbst.[3] Jener Tradition folgend verstehe ich Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation als fragile Instrumente des Umgangs mit unserer Welt. Es scheint, als gäbe es eine Spaltung der Gesellschaft. Kehren wir zurück zum Bild der Wissenschaftler im Elfenbeinturm, sind es diese, die erklären und kontrollieren (sollen), und die Menschen außerhalb des Turms diejenigen, die der Arbeit der Wissenschaftler geradezu ausgeliefert sind. Aus gutem Grund erklingt der Ruf nach Partizipation.
Der Wunsch der Teilhabe an und der Reflexion von Forschung und deren Ergebnisse rückte spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts in den Fokus des öffentlichen Interesses.[4] Die politische Dimension diskutiert Chantal Mouffe Anfang des 21. Jahrhunderts. Sie schreibt bezugnehmend auf Anthony Giddens: „Zentral für das Projekt der dialogischen Demokratisierung sei die Öffnung der Wissenschaft, weil ebenso wie auf dem Gebiet der ‚emotionalen Demokratie‘ – Sichtbarkeit und Offenheit öffentlicher Diskussionen die Vorbedingungen der Entwicklung gesellschaftlicher Reflexivität und der Gewährung von Autonomie seien.“[5]
Die Wissenschaft muss sich also öffnen – zum einen, um die Menschen teilhaben zu lassen, um Wissen zu teilen, zum anderen, um kritische Diskussionen zu ermöglichen. Eine Meinung können wir uns nur bilden, wenn wir verstehen, worum es geht. Umso wichtiger ist es, Forschungsinhalte so zu vermitteln, dass die Öffentlichkeit wirklich teilhaben kann. Wir Menschen haben nicht nur Angst vor dem, was wir nicht verstehen, wir möchten auch gesehen werden. Die Wissenschaftler sitzen in keinem Elfenbeinturm; sie sind Teil der Gesellschaft – einer Gesellschaft in ständigem Wandel, einer Gesellschaft in einer beschleunigten Welt.
[1] Die Dialektik der Aufklärung ist eine Sammlung von Fragmenten Max Horkheimers (1895-1973) und Theodor Wiesengrund Adornos (1903-1969) aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Werk ist in enger Zusammenarbeit mit Gretel Adorno und Leo Löwenthal entstanden und ein Leitwerk der Kritischen Theorie (auch als Frankfurter Schule bekannt). Die Kritische Theorie analysiert bürgerlich-kapitalistische Gesellschaften, legt Herrschafts- und Unterdrückungsmechanismen dar und verfolgt das Ziel einer Gesellschaft mündiger Menschen.
[2] M. Horkheimer, T. W. Adorno Dialektik der Aufklärung, Dritte Auflage (1996), S. 32.
[3] Vgl. „Der abendländische Mensch begreift und behandelt sich von Odysseus bis ins 20. Jahrhundert selbst als zu beherrschende Natur und verwandelt sich damit „zum Subjekt-Objekt der Repression“. Gesammelte Schriften, S. 230 in R. Klein/ J. Kreuzer, S. Müller-Doohm Adorno Handbuch, Metzler Verlag (2011), S. 392.
[4] Zum Beispiel durch so radikale Veränderungen wie die Mondlandung; vgl. H. Arendt Vita activa, Piper Verlag GmbH, 19. Auflage (2018), S. 7 ff.
[5] C. Mouffe Über das Politische, Suhrkamp Verlag, 7. Auflage (2017), S. 63.